Willkommen zu meinem philosophischen Exkurs „Die Zusammensetzung der Illusion“
Im philosophischen Exkurs zur vedischen Schöpfungsgeschichte habe ich erläutert wie beim vedischen Urknall aus dem kosmischen Ei- Pralaya, der Singularität, das Universum Brahman und die Illusion Maya entstanden ist.
Brahman, das maskuline Prinzip, steht für Struktur und Ordnung. Maya, das feminine Prinzip, steht für Leben und Veränderung. Und Maya ist die Illusion, dass, der Ich-Wahrnehmung wegen, das Individuum abgetrennt und verschieden von allem anderem im Universum ist.
Brahman ist auch pures Bewusstsein, in Sanskrit auch Purusha genannt: Der reine Geist. Maya ist die gesamte Urmaterie, Materie inklusive aller Energie. Dass Materie nichts anderes als Energie ist weiß die Wissenschaft seit Albert Einsteins berühmter Formel E = mc².
Und diese Urmaterie wird in Sanskrit Prakriti genannt. Ein Wort, das auch einfach „Natur“ bedeutet.
Maya ist Leben und Veränderung. Maya ist auch Prakriti, die Urmaterie, also alle Energie und alle Materie. Und, wie uns allen sehr schnell bewusst sein wird, wenn wir darüber nachdenken: All diese Dinge – Leben, Veränderung, Natur, Energie und auch Materie – alles, kommt in verschiedenen Qualitäten vor und verändert sich innerhalb dieser qualitativen Eigenschaften.
In der vedischen Philosophie setzt sich alles, das Maya ist, aus drei grundlegenden Qualitäten zusammen, alles besteht in variablen Anteilen aus ebendiesen drei Grundeigenschaften.
So eine Eigenschaft heißt in Sanskrit „Guna“, was so viel wie Faden bedeutet. Und da die drei Grundeigenschaften immer alle drei vorhanden sind, wenn auch in verschiedensten, sich verändernden Zusammensetzungen, ist oft auch die Rede von Triguna, also den drei Gunas, die zusammengehören. Drei Fäden, immer ineinander verflochten wie in einem Zopf.
In allem vedisch orientierten Denken, also auch im Yoga und im Ayurveda, besteht also alle Materie aus diesen drei grundlegenden Prinzipien oder Eigenschaften. Und diese drei Prinzipien heißen Tamas, Rajas und Sattva.
- Tamas steht für Trägheit, Dunkelheit, Chaos, Schwere, Faulheit, Interessenslosigkeit, fehlende Klarheit oder Erkenntnis und eine scheiternde weil zu chaotische Energie.
- Rajas steht für Rastlosigkeit, Bewegung, Energie, Leidenschaft, Bewegung, das Fordernde, Ambitionierte, Dynamische und vor allem für alles, was sich Aufmerksamkeit wünscht.
- Und Sattva steht für Gleichgewicht, Harmonie, Zufriedenheit Frohsinn, Reinheit, Klarheit, Ruhe, Güte und wahren inneren Frieden.
Diese drei Grundprinzipien der Natur beeinflussen sich natürlich gegenseitig und in ihrem Mischungsverhältnis, und unterliegen einem natürlichen Zyklus der Umwandlung von einem ins andere.
Welche praktischen Auswirkungen hat das nun auf uns und unser Leben?
Wenn alles aus den drei Gunas besteht, dann auch das menschliche Verhalten. Tamas steht für Trägheit und Faulheit. Wir alle kennen diese Tage oder Kontexte, wo unser Handeln von Tamas dominiert wird. Rajas steht für Rastlosigkeit und Dynamik. Auch diese Tage und Kontexte kennt wohl jeder von uns. Und Sattva steht für Harmonie und Zufriedenheit. Und, auch wenn es für manche Menschen eher selten scheinen mag, aber sogar das kennen wir alle.
Wie kommt es nun, dass unser Verhalten mal so und mal anders ist? Ja, jede Situation erfordert eine gewisse Art des Handelns und das dazu passende Mindset. Das ist gut so.
Aber, wenn wir ehrlich mit uns sind, weil wir eigenverantwortlich und selbstbestimmt sind: In vielen Situationen hätten wir die Wahl eher tamassig, eher rajassig oder eher sattvig zu agieren.
Wie kommt es, dass wir es zwar theoretisch könnten, es aber praktisch nicht ganz so leicht können?
Unsere Ernährung hat da großen Einfluss. Das womit wir uns nähren. Da gehören – ganz explizit gesagt – nicht nur unsere Nahrungsmittel, unser Essen und Trinken, dazu. Da gehört auch alles dazu, von dem wir zulassen, dass wir es über unsere Sinne aufnehmen.
Zunächst jedoch mal kurz zur Ernährung über Lebensmittel. Jedes Essen und Trinken ist von einem der drei Gunas dominiert.
Tamassige Nahrung macht träge, faul, deprimiert und reduziert jegliches Einfühlungsvermögen und Empathie. Tamas wird das Denken in die Vergangenheit bringen und lässt einen über längst vergangene Dinge grübeln.
Zur tamassigen Nahrung zählt alles, was ethisch nicht verträglich ist. Auch alle unreife oder überreife/faule Nahrung, ebenso wie alles, das länger als minimal kurz gekocht wurde, gehört in diese Kategorie.
Auch alles das industriell verarbeitet wurde, ist tamassig. Das so übliche Jausnen am Abend mit Wurst, Käse, eingelegtem Gemüse, Senf und Soßen und dergleichen ist also der sicherste Weg in einen von Tamas dominierten Lebensstil. Spirituelle Entwicklung ist praktisch gesehen ausgeschlossen dabei.
Was alles ist auf der Liste der Tamas-Nahrungsmittel? Da ist Fleisch und Fisch, außer aus ethisch einwandfreier Herkunft in sehr kleinen Mengen. Pilze sind ebenso tamassig wie Alkohol, wiederum außer in sehr kleinen Mengen. Alle Formen von Tabakkonsum, und vieles anderes mehr ist tamassig.
Rajassige Nahrung macht Körper und Geist unruhig, sie schürt rajassige Emotionen wie Ärger, Reizbarkeit, Ängste oder verstärkt die Wünsche. „Wünsche“ sind Bedürfnisse, die rein im Kopf existieren, und die aus Erfahrungen der Vergangenheit motiviert in zukunftsorientierte Gedanken bringen.
Rajassige Nahrung als generell ungesund zu klassifizieren ist praktisch unmöglich. Zum Beispiel gehören Zwiebel und Knoblauch zu den rajassigen Nahrungsmitteln. Mit ihren ätherischen Ölen und anderen Wirkstoffen haben sie durchaus positive Auswirkungen auf den körperlichen Stoffwechsel. Andererseits heizen sie den Strom der inneren Gedanken an, und machen es sehr schwer innerlich zur Ruhe zu kommen.
Auf der Liste der rajassigen Nahrungsmittel finden sich unter anderem Zwiebel, Knoblauch, alle Laucharten (inklusive Bärlauch), Ingwer, Pfeffer, Chili, alle scharfen Gewürze, Kaffee, Tee, Alkohol (in kleinen Mengen), weißes Mehl, Zucker und so weiter.
Auch zu schnelles Essen und Trinken oder ungenügendes Kauen wirkt rajassig, egal welche Nahrungsmittel dabei konsumiert werden.
Viele der rajassigen Nahrungsmittel sorgen für einen kurzen und intensiven Energiestoß durch Stimulanzien oder einen Anstieg des Blutzuckerspiegels – also Rajas – um danach den Körper in ein Tief fallen zu lassen – also Tamas. Die Nahrungsmittel als solche sind dennoch rajassig.
Sattvige Nahrung gibt neue Energie, und unterstützt geistige Ruhe und Heiterkeit. Sie ist gesund, versorgt den Körper mit allen Nährstoffen, die er braucht, und entspricht den ethischen Prinzipien.
Damit erfüllt sattvige Nahrung auch noch weitere Aspekte: Sie ist stärkend und harmonisierend für die Lebensenergie, erhebend für den Geist und ist dadurch förderlich für die Klarheit des Geistes. Sie ist geprägt von Mitgefühl zu allen Lebewesen und sie ist gut für unseren Heimatplaneten mit all seiner Natur, ist also ökologisch verantwortbar.
Sich sattvig zu ernähren, heißt auch, dass das Essen selbst bewusst geschieht, und den angebrachten Respekt vor jeglichem existierendem Leben als solches beinhaltet.
Die Liste der sattvigen Nahrungsmittel umfasst Vollwerternährung, nach Möglichkeit und Verfügbarkeit Bio. Dazu gehört auch alles Obst, Früchte, Salate, Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte. Nüsse, Gewürze und Kräuter finden sich ebenfalls dort.
Menschliches Verhalten kann ebenfalls in die drei Gunas eingeteilt werden. Und es ist ganz klar zu beobachten, dass das über die Nahrung zugeführte Guna auch das allgemeine Verhalten jedes einzelnen ganz direkt beeinflusst.
Wer also rajassige Nahrung zu sich nimmt, wird rajassiges Verhalten inklusive der durch Rajas begünstigten Emotionen zeigen. Der wird auch Lust auf noch mehr rajassige Nahrung haben, und auch Sinnesreize bevorzugen, die Rajas folgen. Er wird sein Leben rajassig ausrichten: Wer gerne scharf isst, wird mehr vom Scharfen sollen. Er wird auch recht aktiv sein, und lieber Actionfilme konsumieren als Kultur.
Das gleiche gilt für die Tamas: Alkohol, vor allem Bier, und öfter als dreimal in der Woche Fleisch, vermutlich noch als Hauptgericht, eine häufige Jause, Pornos schauen und Trash-Sex haben – falls man überhaupt noch aktiv ist, und vermutlich nur nach fixem Fahrplan, weil der natürliche Drive lange erloschen ist. Das ist ein klassisch mitteleuropäischer Kreislauf des Tamas.
Sich gesund zu ernähren, sich mit angenehmen Dingen zu umgeben, sich und anderen Gutes tun, das ist Sattva.
Wer sich mit seinem dominanten Guna identifiziert, der wird einen Lebensstil führen, der dieses Guna verstärken wird. Wer zu blöd ist – sorry, aggressives Wording, wer keinen Bedarf dazu sieht – sich selbst ehrlich zu reflektieren, der wird seinen Lebensstil verteidigen. Weil so ist man am zentralsten in seiner gewohnten Komfortzone. Und da lebt man lange, gesund und glücklich.
Sebstreflexion und bewusstes Hinschauen auf seine Themen ist sattvig.
Leben ist Veränderung. Wachstum ist wahlweise. Wähle weise, denn es ist dein Leben und es ist deine Wahl. Wir sollten reden.